Natürlich lernen ohne Schule[1]
Freilerner – Im Spannungsfeld von selbstbestimmter Bildung und restriktiver Gesetzeslage
Homeschooling[2] hat sich überall in der Welt als ernst zu nehmende Alternative zum Schulsystem entwickelt.[3] In vielen Ländern[4] ist das freie Lernen problemlos möglich, mit zunehmender Globalisierung haben sich praktisch alle europäischen Länder mit Ausnahme von Deutschland auf Homeschooling eingestellt. Dennoch steigt die Zahl der beteiligten Freilernerfamilien in Deutschland, denn immer mehr Familien wollen wieder mehr als nur Versorgungsstation sein, sie wollen das Zusammenleben umfassend genießen.[5] Die Zahl der Hausschüler wird bereits 2005 von Focus-Schule auf ca. 3.000 geschätzt, Dunkelziffer unbekannt.[6] Während der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages von bis zu 1.000 Freilernern schreibt[7], liegen auch die Schätzungen von Weisberger[8] bei mehr als 3.000 Freilernern in Deutschland.
Alle Bildungsmethoden und -institutionen haben ihre Vor- und Nachteile. Deshalb ist es wichtig, ein breitgefächertes und attraktives Bildungsangebot zu machen, das alle Kinder mit deren Lerntempi und -typen einbezieht. Auch ganz spezielle Bedürfnisse von Kindern (z.B. Hochbegabung oder ADHS) und Familien in besonderen Situationen würden bspw. ein selbstgestaltetes häusliches Lernen entgegen kommen. Es läge also eine große Chance darin, die Bildungsfreiheit zu gewähren und die Schulpflicht zugunsten einer Bildungspflicht abzuschaffen. Eine umfassende Bildungsfreiheit bedeutet, „das Selbstbestimmungsrecht der Kinder auf Bildung (Bildungsrecht) und die Pflicht der Eltern zur Bildung ihrer Kinder (Bildungspflicht) in Lernkonstellationen ihrer Wahl“[9] umsetzen zu können. In Deutschland sieht es die aktuelle Gesetzeslage jedoch nicht vor, dass ohne ein Schulgebäude gelernt werden kann. Der deutsche Schulzwang bedeutet somit eine unnötige Kriminalisierung der Eltern und Kinder. Der Staat sollte pädagogische Probleme lieber pädagogisch lösen und nicht mit Gerichtsbeschlüssen und Gefängnisstrafen.[10] Um hier nur auf einige wesentliche Aspekte der Debatte hinzuweisen.[11]
Aufgrund der Restriktionen ist in Deutschland wenig[12] über den individuellen Lernweg von freilernenden Kindern und Jugendlichen bekannt. Deshalb widmet sich das Forschungsprojekt der Aufgabe, das kognitive, emotionale und soziale Erleben von Freilernern zu erforschen. Wir wollen erforschen, wie es den Freilernern in ihrer häuslichen Umgebung geht, wir wollen etwas über ihre Motive erfahren und wollen aus Sicht der Kinder und Jugendlichen den Mehrwert des Homeschoolings und deren Grenzen verstehen.
[1] Bereits 1985 weist Renata Leuffen mit ihrem gleichnamigen Buch auf das Thema hin.
[2] Im folgenden werden die Begriffe Homeschooling, Hausunterricht und Freilernen synonym verwendet.
[3] vgl. Raimund Pousset (2007) in: www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/Pädagogik
[4] führende Homeschooling Länder: USA 4%; Kanada 3-4%; Großbritannien 1,5%; Australien 1%. (Vgl. Schirrmacher, 2005)
[5] vgl. Thomas Schirrmacher: Bildungspflicht statt Schulzwang. Idea Dokumentation 4/2005. Weitere Elternmotive finden sich in Spiegler, 2008
[6] vgl. Thomas Schirrmacher: Bildungspflicht statt Schulzwang. Idea Dokumentation 4/2005
[7] vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages 2009
[8] Herausgeberin des Freilernen-Kompass. Vgl. studentisch organisierte Ringvorlesung an der Universität Witten/Herdecke, 2021.
[9] vgl. Raimund Pousset (2007) in: www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/Pädagogik
[10] vgl. Schirrmacher, 2005.
[11] Homeschooler sehen in der Schulpflicht, die sich aus den Landesverfassungen u./o. aus den Landesschulgesetzen ergibt, unzulässige Grundrechtseinschränkungen. Vgl. Juristische Betrachtungen: Spiegler, 2008. Rux/Vogt/Stoppel in Kern, 2016. Vogt/von Wistinghausen/von Lucius in Kern, 2018
[12] vgl. Freilernerbiografien: Neubronner, Die Freilerner. Unser Leben ohne Schule, Genius Verlag, 2008, Bremen. Kern, Moosehnia, Reichert, Weimer, Wir sind so frei. Freilernerfamilien stellen sich vor, 2016, Leipzig, tologo